Zum Wochenende: Den Frosch kochen

Zum Wochenende: Den Frosch kochen

Digitale Souveränität erfährt zurzeit einen hohen Stellenwert in europäischen Organisationen. In diesem Beitrag beleuchte ich die Hintergründe und gebe Tipps für die langsame Umstellung in der eigenen Organisation.>

Das ist ein Meinungsartikel.

Bevor mir jetzt die Tierschützer aufs Dach steigen: Ich würde niemals einen Frosch kochen und wüsste auch gar nicht, was ich mit einem gekochten Frosch anfangen könnte. Hinter dem Titel steckt die Metapher für einen langsamen Prozess, bei dem die Betroffenen nicht merken, was mit ihnen geschieht. Das Gegenteil davon ist der Big-Bang-Ansatz, bei dem sich von einem auf den anderen Tag alles schlagartig ändert.

In letzter Zeit hört man von vielen Projekten, die die Einführung von Freier Software in Organisationen zum Ziel haben. Hier sind ein paar Beispiele:

  • Österreichs Bundesheer stellt auf LibreOffice um
  • Von LibreOffice bis Linux: Schleswig-Holstein setzt konsequent auf OSS
  • In Frankreich nutzt die Gendarmerie seit Jahren eine auf Ubuntu basierende Eigenentwicklung namens „GendBuntu“, mit mehr als 80.000 Installationen eines der grösten Linux-Projekte im öffentlichen Sektor Europas.
  • Die Stadt Lyon stellt derzeit ihre Bürosoftware auf OnlyOffice um.
  • Weitere Kommunen, etwa Freiburg im Breisgau und Solingen, haben Open-Source-Anwendungen im Bereich Smart City und Verwaltung im Einsatz.
  • Viele Kommunen, z. B. die Stadt Zürich, prüfen zurzeit openDesk, die Office- und Kollaborationssuite, die speziell für die Bedürfnisse in der öffentlichen Verwaltung entwickelt wurde.

Wer nach Beispielen sucht, findet mehrheitlich Organisationen aus dem öffentlichen Sektor, jedoch wenige privatwirtschaftliche Firmen. Dafür mag es verschiedene Gründe geben:

  • Der öffentliche Sektor hat eine Publikationspflicht gegenüber der Bevölkerung, wohingegen Firmen ihre Tätigkeiten nicht offenlegen müssen, au&szliger es wird vom Aktienrecht gefordert.
  • Die IT-Souveränität ist in Europa aktuell ein grosses Thema, welches auf der politischen Agenda angekommen ist. Wegen des politischen Aspektes, hört man mehr von Behörden, als von Firmen.

Damit verstehen wir uns richtig: Bei den oben genannten Beispielen geht es nicht um Freie Software im Backend, sondern im Frontend. Es geht wieder einmal um das “Jahr des Linux-Desktops”. In den vergangenen Jahren ging es bei der Argumentation für Freie Software überwiegend um Kosten, offenen Quellcode und vielleicht auch um die zugrundeliegenden Lizenzen. Diese Argumente haben die Marktakteure nur mässig überzeugt.

Das Souveränitätsargument ist ein wesentlich stärkerer Hebel, weil es auf einer höheren Ebene angesiedelt ist. Hierbei geht es nicht um nerdige Kleinigkeiten, sondern um das große Ganze. Wenn der Orange uns nicht mehr mag, stellt er uns AWS, Azure und Microsoft 365 ab, weil er es kann und unberechenbar handelt. Autokraten treffen autokratische Entscheidungen. Wer sich mit dem Hinweis auf bestehende Verträge und Lizenzabkommen beruft, ist naiv. Autokraten halten sich nicht an Verträge, genauso wenig, wie sie sich an das Völkerrecht oder die wirtschaftliche Weltordnung halten.

Um dem Argument der IT-Souveränität mehr Gewicht zu verleihen, lohnt sich ein Blick auf den Demokratiebericht (PDF), der seit 2017 jährlich vom unabhängigen V-Dem Institut erstellt wird. Der Bericht konstatiert für 2025 ein globales Sterben der Demokratien:

Zum Wochenende: Den Frosch kochenStatista, die auch auf den Demokratiebericht von 2025 aufbaut:

Es gibt nur noch eine Handvoll Länder, in denen es eine vollständige Demokratie gibt.

Nun stellt sich die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen Freier Software vs. proprietärer Software und Demokratie vs. Autokratie gibt. Ja, den gibt es und er ist selbstverständlich:

Demokratische Prinzipien und Freie Software

Freie Software basiert auf Transparenz, gemeinschaftlicher Entwicklung, Partizipation und der Möglichkeit, Software frei zu nutzen, zu verändern und zu verbreiten. Diese Werte spiegeln grundlegende demokratische Prinzipien wie Gleichheit, Teilhabe und Nachvollziehbarkeit wider. Die Offenlegung des Quellcodes ermöglicht es den Nutzenden, Kontrollmöglichkeiten zu behalten und technologische Macht dezentral zu verteilen, ähnlich wie in einer Demokratie politische Macht verteilt wird. Insbesondere im Bereich staatlicher Software oder in öffentlichen digitalen Prozessen ist Transparenz entscheidend, damit Bürger:innen nachvollziehen können, wie Entscheidungen technisch getroffen werden.

Autokratische Tendenzen und proprietäre Software

Proprietäre Software steht für den entgegengesetzten Ansatz: Der Quellcode ist nicht öffentlich, Anpassungen sind verboten, und die Kontrolle verbleibt bei einem Unternehmen oder einer kleinen Entwicklergruppe. Dies schafft Abhängigkeiten und sogenannte „Black Boxes“, in denen Nutzende nicht nachvollziehen können, welche Regeln oder Funktionen implementiert sind. Darin kann man einen autokratischen Grundzug sehen, da zentralen Instanzen Macht ausüben und partizipative Entscheidungsmechanismen fehlen, was zu weniger Transparenz und Kontrolle für die Allgemeinheit führt.<

Wo bleibt der Frosch?

Ich habe mich wieder zu lange mit der Einführung aufgehalten und komme nun endlich zum Kern dieses Artikels. Folgt man dem zuvor Geschriebenen, sollte es doch klar sein, dass die europäischen (die demokratischen) Staaten voll auf Freie Software setzen müssen, um aus einer IT-Perspektive ein Gegengewicht zur fortschreitenden Autokratisierung der Welt zu setzen. Doch wie macht man das?

Diese Frage richtet sich an euch alle, sofern ihr in einer Organisation, Firma oder Bildungseinrichtung beschäftigt seid. Mir ist klar, dass die Möglichkeiten als Schülerin oder Student sehr beschränkt sind. Doch als Angestellte:r hat man die Möglichkeit, Veränderungen anzustossen.

Der Frosch rät davon ab, einen radikalen Wechsel vorzuschlagen. Das langsame Garen ist viel erfolgversprechender. Es gibt viele Anwendungen in einer Organisation, die sich leicht durch Freie Alternativen ersetzen lassen. Hier sind einige Beispiele und Tipps:

  • Für das Erstellen von Grafiken, braucht man kein Visio. Draw.io liefert für diesen Zweck hervorragende Dienste. Die Anwendung kann man auch lokal installieren.
  • Bei einer alternativen Office-Suite gibt es gleich zwei gute Alternativen: LibreOffice oder ONLYOFFICE.
  • Beim Webbrowser sollte in der Organisation ausschliesslich Firefox zum Einsatz kommen. Aufgrund von Manifest V3 sind Edge und Chrome schon aus Datenschutzgründen auszuschliessen.
  • Das wird jetzt keine Liste von Alternativen für Freie Anwendungen. Ich möchte nur ein paar Beispiele aufzeigen, mit denen man den Frosch langsam kochen kann. Der wichtigste Punkt bei der Umstellung auf IT-Freiheit, ist das behutsame Vorgehen. Schritt für Schritt kommt man voran. Ich habe noch ein paar weitere Tipps im Köcher:

    • Sprecht das Thema in der Belegschaft an. Hört zu und erkundet, wozu die Kollegen bereit sind.
    • Macht keine Alleingänge. Ihr braucht eine Anzahl von Mitstreitern.
    • Stemmt euch nicht gegen eure IT-Abteilung, sondern bezieht sie ein.
    • Steigt ganz oben in der Organisation ein; am besten auf der höchsten politischen Ebene. Ohne Unterstützung des Managements läuft nichts.
    • Stellt kluge Fragen an die IT-Leitung und an die Firmenleitung, zum Beispiel:
      • Welche Schritte planen Sie, um im aktuellen wirtschaftlichen und politischen Umfeld die existenzgefährdende Abh&aumlngigkeit von globalen Technologiekonzernen von unserem Unternehmen fernzuhalten?
      • Wie rechtfertigen Sie die hohen Lizenzkosten für proprietäre Software unseren Kunden und Aktionären gegen&uumlber?
      • Was ist Ihr Plan B für den teilweisen Ausfall unserer US-amerikanischen Software-Lösungen?
      • Wenn Sie morgen eine neue Firma gründen würden, für welche Software-Lösungen würden Sie sich entscheiden.
      • Mit der vollkommenen Abhängigkeit unserer IT von US-amerikanischen Software-Lösungen gef&aumlährden Sie mittelfristig den Fortbestand unserer Firma. Sind Sie sich dessen bewusst?
      • Was machen Sie, wenn Microsoft (Adobe, Oracle, Amazon, etc.) morgen unsere Lizenzkosten verdoppelt?

    Um es klar zu sagen: Ich schreibe hier nicht aus Erfahrung, sondern gebe lediglich meine Ideen und mein Wunschdenken wieder. Falls sie in eurer Organisation schon praktische Erfahrungen mit einem sanften Umstieg sammeln konntet, dann schreibt sie bitte in die Kommentare.

    Titelbild: https://pixabay.com/photos/frog-cook-meal-kitchen-gourmet-927768/

    Quellen: stehen alle im Text

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