Canonical will den Linux-Desktop neu denken. Seit einigen Jahren arbeiten die Entwickler bereits an Ubuntu Core Desktop, eine unveränderliche Distribution auf Snap-Basis. In einer ausführlichen Interview mit The Register auf dem kürzlich abgehaltenen Ubuntu-Gipfel 25.10 sprach Jon Seager, Vice President Engineering bei Canonical, über die langfristige Strategie des Unternehmens: Ubuntu soll sich in den kommenden Jahren zu einem modularen, sichereren und unveränderlichen System entwickeln.
Mittel- bis langfristig wird das Standard-Ubuntu, das die Leute verwenden werden, ein Core Desktop sein.
Jon Seager, Vizepräsident Technik bei Canonical
Snap und sonst nichts
Unter Core Desktop versteht Canonical eine Desktop-Variante, die vollständig auf Snap-Paketen basiert. Jede Komponente vom Systemdienst bis zur Benutzeroberfläche läuft isoliert in einem Container. Ziel ist eine Plattform, die sich einfacher warten lässt, weniger Angriffsflääche für Sicherheitslücken bietet und für den Durchschnittsanwender einfach funktioniert. Seager betont dabei, dass der klassische Desktop mit APT und Deb-Paketen parallel weiter existieren wird. Dennoch liegt die strategische Richtung fest: Ubuntu soll sich vom frei kombinierbaren Baukasten hin zu einem definierten Produkt entwickeln.
Snapd als Herzstück
Das Herzstück dieser neuen Architektur ist snapd, der Daemon, der die Snap-Pakete verwaltet. Besonders wichtig ist derzeit die Entwicklung eines Erlaubnisaufforderungen, auch eines Dialogs, über den Anwendungen künftig aktiv um Zugriffsrechte bitten müssen, ähnlich wie bei Android und bei Flatpak. Diese Funktion soll in Ubuntu 26.04 LTS eingeführt werden.
Ohne Flatpak
Ein heikler Punkt bleibt das Verhältnis zu Flatpak. Nach Problemen mit Ubuntu 25.10, bei dem neue Flatpaks vorübergehend nicht installierbar waren, räumt Seager offen ein, dass Flatpak bei Ubuntu keine Priorität besitzt. Zwar wolle man niemanden aktiv behindern, denn Ubuntu solle Flatpaks weiterhin ausführen können. Jedoch investiert Canonical keine Ressourcen in diese Technologie.
Stattdessen setze man konsequent allein auf Snaps und den hauseigenen Snap Store, in dem Canonical zentrale Qualitäts- und Sicherheitsmechanismen kontrolliere. Dieser Kurs dürfte die Fronten in der Linux-Community weiter verhärten: Während Snaps die breiter gestaffelte Nutzererfahrung versprechen, kritisieren viele die serverseitige Abhängigkeit von Canonicals Infrastruktur.
Schwieriges Gleichgewicht
Seager zeigt sich durchaus bewusst, dass dieser reine Snap-Ansatz nicht allen gefallen wird. Die Herausforderung bestehe darin, ein Gleichgewicht zwischen Wahlfreiheit und Funktionalität zu finden. Damit positioniert Canonical Ubuntu klar zwischen zwei Polen: einerseits die distributionsübergreifende Vielfalt, andererseits der Wunsch nach Konsistenz und Verlässlichkeit. Für Desktop-Anwender, die keine Lust auf Paketchaos und manuelle Konfiguration haben, könnte der Core Desktop durchaus ein Gewinn sein. Für Puristen dagegen ein weiterer Schritt in Richtung unerwünschter geschlossener Systeme.
Ein Stack von Server bis Desktop
Seager hebt hervor, dass Canonical als einer der wenigen Anbieter den gesamten Software-Stack aus eigener Hand liefern kann, der von Kubernetes-Clustern über LXD-Container bis zum Desktop reicht.
Wir sind wahrscheinlich der einzige Anbieter, der mit seinem Stack wirklich ein komplettes Rechenzentrum von oben bis unten abdecken kann.
Jon Seager
Als Basis der Entwicklung dient die minimalistische Variante Ubuntu Core, die bislang überwiegend auf IoT-Geräten und Servern läuft. Der Desktop soll nun denselben Prinzipien folgen – mit dem Ziel, langfristig dieselbe Stabilität und Wartbarkeit zu erreichen.
Der Weg ist klar
Canonicals Weg ist klar erkennbar: weg vom frei konfigurierbaren Linux, hin zu einem wartungsarmen, vorhersagbaren Produkt. Das Versprechen lautet Stabilität und Sicherheit, der Preis ist weniger Flexibilität. Ubuntu steht damit am Beginn eines neuen Kapitels, das den Desktop neu definieren möchte. Ob die Community diesen Kurs mitträgt, wird sich zeigen. Sicher ist nur: Canonical hat sich entschieden, den Linux-Desktop nicht mehr allein als Werkzeug, sondern mehr als fertiges Produkt zu denken.
Wer sich generell über Immutable-Distributionen informieren möchte, findet im Programm der TUX-Tage am kommenden Samstag einen Talk über die Frage, ob solche Systeme die Zukunft für den Linux-Desktop sind.
