Ückück und das Fediverse: Wo ist die Jugend?

Ückück und das Fediverse: Wo ist die Jugend?

Zumindest nicht im Fediverse, oder? Ein Meinungsbeitrag über die Überalterung eines Netzwerkes und mögliche Gründe dafür.>

Titelbild: Ein leerer Spielplatz in Grautönen. Darüber in weißer Schrift die Frage: Wo ist die Jugend?

Hörversion des Artikels (12 min 33 s)

Es ist vielleicht etwas ungelenk und auf keinen Fall repräsentativ, aber um mein seit Jahren bestehendes Bauchgefühl mit ein paar Zahlen zu unterfüttern, habe ich eine Altersumfrage mit meinem Mastodon-Account erstellt.

Ückück und das Fediverse: Wo ist die Jugend?

Auch wenn nicht alle Dienste die Umfragen-Option von Mastodon nutzen können, das wäre nur mit einer externen Umfrage möglich gewesen, hat das Ergebnis mit immerhin 2.134 Teilnehmenden doch eine gewisse Aussagekraft. Die Auswertung bestätigt, was ich mir schon länger gedacht habe: Wir haben einfach extrem wenig junge Leute im Fediverse. Denn am Ende waren 8 % der Teilnehmenden im Alter zwischen 16 und 29 Jahren alt, 37 % im Alter zwischen 30 und 44 Jahren, 40 % im Alter 45 bis 59 Jahren und 15 % 60 Jahre oder älter. Auch eine im Zuge meiner Umfrage entstandene detailliertere Umfrage vom Account BlechTerror STOPPEN hat eine ähnliche Verteilung gezeigt. Vergleichbares habe ich immer wieder bei Altersumfragen im Fediverse beobachtet und auch beim täglichen Schreiben im Netzwerk fällt auf, dass der Großteil der Leute, die mir im Fediverse begegnen und bei denen ich das Alter nachvollziehen kann, irgendwo im “mittleren Alter” liegen.

Jetzt könnten wir annehmen: “Na klar, ist doch auch eine schöne Glockenform. Die Normalverteilung sieht doch gut aus.”, aber wir machen hier keine Wahrscheinlichkeitsrechnung, wir beobachten Alterskohorten. Und auch, wenn die Bevölkerungspyramide in Deutschland, wo meine Umfrage vermutlich die meisten Leute erreicht hat, immer noch eine eindeutige Urnenform hat, sind die Altersunterschiede bei der Gesamtbevölkerung nicht so extrem, wie bei den vielen Altersumfragen zur Fediversenutzung. Das Fediverse ist ein überaltertes Netzwerk, dem der Nachwuchs fehlt. Aber damit all die Dienste entwickelt, die Server betrieben und das Netzwerk am Leben gehalten werden, braucht es auch junge Menschen, die sich für das Fediverse interessieren. Gerade ein Netzwerk, welches von Freiwilligenarbeit lebt, muss sich um den eigenen Nachwuchs kümmern!

Doch warum sind so wenig junge Menschen im Fediverse?

Zynische Bemerkungen über eine “Generation TikTok”, mangelnde Medienkompetenz oder Desinteresse und Oberflächlichkeit sind hier fehl am Platz und helfen sicherlich nicht weiter. Außerdem würden sich fast all diese Argumente auch gut auf die “Generation Facebook”, wie Menschen über 50 Jahren auch manchmal bezeichnet werden, anwenden lassen. Und diese ist offensichtlich gut im Fediverse vertreten.

Ich habe das Glück, mit meinen 33 Jahren auch viele deutlich jüngere Menschen in meinem Bekannten- und Freund*innenkreis zu haben und die sind alles andere als oberflächlich. Sie sind neugierig, engagiert und wollen etwas verändern. Eigentlich perfekt für das Fediverse, oder? Zwar sind auch einige davon tatsächlich im Fediverse aktiv, viele jedoch nicht.

Als ich mit Tim, einem dieser Freunde, der sich trotzdem in das Fediverse gewagt hat und mit seinen 21 Jahren einen noch einmal anderen Blickwinkel als ich auf das Ganze hat, über diesen Artikel und meine Umfrage gesprochen habe, hat er das Problem folgendermaßen zusammen gefasst:

Viele Fediverse-Communitys haben die Notwendigkeit von Werbung noch nicht verstanden. Es braucht mehr als z.B. ein “Wir haben auch Mastodon”. Ohne jungen Zuwachs werden die verschiedenen Dienste langsam aussterben bzw. sich in alte verbitterte Echokammern verwandeln.

Genau diese Gefahr sehe ich ebenfalls. Und es fallen mir leider ziemlich viele weitere Gründe ein, warum das Fediverse für so viele junge Menschen unattraktiv ist.

Erklär- und Meckerkultur

Über unseren allgemeinen Stock im Arsch und die Meckerkultur einiger im dezentralen Netzwerk, habe ich schon in meinem Beitrag über das Onboarding im Fediverse geschrieben. Mehr Offenheit für neue Menschen, Themen und Herangehensweisen wünsche ich mir immer noch sehr für das Fediverse. Dieser oft sehr ablehnende und raue Ton ist sicherlich ein generelles Problem, weshalb viele das Netzwerk wieder verlassen.

Doch vor allem gegenüber jungen Menschen fehlt mir in den Diskussionen, die ich so mitlese, oft das Verständnis. Eine 17-jährige Person kann nun mal nicht bereits 20 Jahre Erfahrung mit dem Linux-Desktop haben. Konflikte, die in einem Gespräch von Angesicht zu Angesicht zum Teil gar nicht auftreten würden, verstärken sich durch die Anonymität des Internets oft schnell.

Veraltete Nutzendenoberflächen und fehlende Funktionen

Etwas, was ich immer wieder höre, ist die Kritik an der optischen Erscheinung des Fediverse. Viele der Dienste sind für eine Desktop-Nutzung ausgelegt, was bereits einen großen Teil potenziell Interessierter abschreckt und die Oberflächen von Mastodon, Friendica, Hubzilla und CO. sehen einfach altbacken aus.

Wie beeindruckt war ich doch selbst nach Jahre langer Funkwhale-Nutzung für meine Podcasts, als ich endlich Castopod vor mir hatte, mit seinem zwar schlichten, aber doch moderneren und ansprechenden Design der grafischen Nutzendenoberfläche (GUI). Auch wenn der Punkt des Designs von freier Software sicherlich an anderer Stelle noch einmal breiter besprochen werden könnte und ich selbst als Open Source Fangirl ein wenig den Maßstab von gut durchdachten, funktionalen und ästhetischen Design von GUIs aus den Augen verloren habe, da ich mich mit vielem einfach abgefunden habe, verstehe ich die Kritik. Menschen, die an gewisse optische Standards, bereits erlernte Klickwege und eine mobile Nutzung von Anwendungen gewöhnt sind, wollen diese oft nicht ohne weiteres aufgeben.

Auch führen ständige Direktvergleiche zwischen verschiedenen Diensten zur Frustration, da die Fediverse-Anwendungen eben keine Klone von proprietären Diensten sind. Mein Lieblingsbeispiel ist hier der Vergleich zwischen Instagram und Pixelfed. Pixelfed, eine Plattform, die vor allem für Image-Sharing von Foto-Künstler*innen genutzt wird, mit einer Sharepic und Kurzvideoplattform zu verglichen, weil beides “irgendwas mit Bildern” zu tun hat, ist nicht hilfreich. Kein Wunder, dass da falsche Erwartungen geschürt werden!

Keine attraktiven Inhalte

Ich liebe das Fediverse, engagiere mich seit Jahren dafür, es bekannter zu machen, Menschen so gut ich kann zu erklären, wie es funktioniert und nutze selbst viele sehr unterschiedliche Dienste, um meine Inhalte zu verteilen. Aber selbst ich muss zugeben, dass nur wenige Themenfelder wirklich stark im Fediverse vertreten und viele davon ziemlich ernst sind. Wer interessiert an Verkehrspolitik, freier Software oder queeren Themen ist, wird schnell viele spannende Accounts zum Folgen finden. Aber sobald es Richtung Unterhaltung geht, wird es schon ziemlich dünn. Ja, es gibt erstaunlich viele Menschen, die sich mit dem Hobby Pen and Paper Rollenspiele beschäftigen und es gibt auch einiges an Tier-Content, aber viel Unterhaltungs- oder Lifestyle-Beiträge haben wir nicht zu bieten. Selbst dass der legendäre Eichkat3r auch nach Jahren noch einer der größten Witzemacher*innen des Fediverse ist, liegt nicht nur an seiner unnachahmlich schrägen Kunstfigur, die er da erschaffen hat, sondern auch an mangelnder Konkurrenz.

Und es ist natürlich auch ein Kreis: Es melden sich vor allem Menschen im Fediverse an, für die die bereits vertretenen Themen interessant sind. Wodurch es wiederum mehr Menschen gibt, die sich für die immer gleichen Themen interessieren. Nur wenige haben den Mut, eine neue Nische zu besetzen. Auch wenn dadurch am Ende so bekannte und beliebte Accounts wie eben der Eichkat3r entstehen könnten.

Kaffeeklatschmentalität eines Forums

Auch hat das Fediverse durch die vielen verschiedenen Dienste, die miteinander föderieren, die Besonderheit, dass sich viele verschiedene Gepflogenheiten begegnen, die sonst eher nicht aufeinander stoßen würden.

Die einen lieben ihr Standard-Mastodon dafür, dass jeder Beitrag unter 500 Zeichen lang sein muss. Die anderen diskutieren gern und verfassen dafür lange Beiträge mit ihrem Akkoma-Account. Wieder andere lassen die Forums-Zeiten aus den 90ern und 00er-Jahren aufleben und wünschen sich jeden Tag einen guten Morgen. Andere empfinden diese Beiträge als Spam und wollen das Netzwerk vor allem nutzen, um Nachrichten zu erhalten.

Vor allem dieses vertraute “Kaffee-Hinstellen”, sich eine gute Nacht zu wünschen oder ähnliches ist für viele jüngere Menschen etwas sehr Ungewohntes, was sie so nicht aus anderen Netzwerken kennen. Damit möchte ich nicht sagen, dass die Menschen, die das machen, damit aufhören sollen! Im Gegenteil, auch wenn ich diese Beiträge selbst immer überscrolle, freue ich mich doch, dass so viele in meiner Timeline daran Freude haben und sich so regelmäßig austauschen. Menschen, die sich ohne das Fediverse nie gefunden hätten, beginnen miteinander den Tag. Ich sehe darin etwas sehr Idealistisches und Gutes, auch wenn ich das Fediverse so nicht nutze. Aber es ist für mich einer der vielen Bausteine, weshalb sich junge Menschen, eher vom Fediverse abgeschreckt fühlen können.

Zu wenig Anwerbung

Eingangs hat es Tim schon in seinem Zitat erwähnt, viele Projekte im Fediverse kümmern sich nicht gut genug um die Anwerbung junger Menschen. Ein Problem, was ich leider generell in der freien Software-Szene beobachte.

Mag es an mangelnder Zeit, zu wenig Ideen, fehlenden Kontakten oder schlicht keinem Bewusstsein für das Problem liegen, aber viele Projekte im Fediverse suchen gar nicht erst nach Nachwuchs.

Wir dürfen nicht warten, bis “die Jugend” auf uns zukommt. Wir müssen uns aktiv darum bemühen, auch junge Menschen anzusprechen. Sei es der örtliche Hackspace, der auch einige Server betreibt, der neue heiße Fediverse-Dienst oder einfach der Verein, der Workshops über das Fediverse anbietet: Wir alle dürfen den Nachwuchs nicht aus den Augen verlieren und müssen aktiv um ihn werben!

Und nun?

Tja, gute Frage. Bedauerlicherweise habe ich auch keine einfache Antwort.

Es ist schön, dass sich viele ältere Menschen im Fediverse wohlfühlen, doch ein Netzwerk ohne Nachwuchs, stirbt irgendwann einfach aus.

Die Selbsterkenntnis ist hier vermutlich der erste Schritt zur Veränderung. Und die ist gar nicht so einfach. Denn es ist schwer einzusehen, selbst nicht mehr die Zukunft, sondern die Gegenwart von etwas zu sein. Da spreche ich aus eigener Erfahrung. Denn auch wenn ich mit meinen 33 Jahren noch lange nicht alt bin, wirklich jung bin ich nun eben auch nicht mehr und natürlich habe ich nicht im Ansatz alles auf dem Schirm, was Menschen interessiert, die 10 oder 15 Jahre jünger sind als ich. Genauso wenig, wie ich weiß, was für Ansprüche Menschen 10 oder 15 Jahre älter als ich an ein Netzwerk stellen. Deshalb müssen wir aufeinander zugehen, miteinander reden und uns ernst nehmen. Das heißt auch, dass Kritik an sich etablierten Gepflogenheiten ernst genommen werden muss.

Zur Veranschaulichung möchte ich den in meinen Augen treffendsten Kommentar zur Altersstruktur im Fediverse unter meiner Umfrage, verfasst von Oberflächenspannung, mit euch teilen:

Ja. Wir sind hier zwar tendenziell progressiv aber wir leiden auch am Altersstarrsinn und der Überheblickeit des Alters. Wir sind digitale Fensterrentner und meckern über TikTok, Ai und die Jugend – aber immerhin haben wir bunte Haare.

Ich wünsche mir, dass wir im Fediverse mehr Offenheit für Neues zeigen können, mehr Empathie entwickeln, eine verzeihende Fehlerkultur pflegen und eben neue, junge Leute mehr unterstützen.

Denn der aktuelle Zustand führt eben dazu, dass das Fediverse über kurz oder lang ausstirbt.

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Dieser Beitrag ist der 15. Artikel meiner Kolumne hier bei GNU/Linux.ch. An jedem ersten Montag im Monat erscheint ein neuer Meinungsbeitrag von mir zum Fediverse.Weiterführende Links:
https://podcasts.homes/@ueckueck_und_das_fediverse/episodes/wo-ist-die-jugend
https://dresden.network/@ueckueck/114779189733524270
https://mastodon.de/@blechterror/114779730845150110
https://dresden.network/@tim_l
https://gnulinux.ch/wie-gut-ist-unser-onboarding

https://gnulinux.ch/serie-fediverse-dienste-friendica-funktionsreich-und-doch-verstaendlich
https://gnulinux.ch/serie-fediverse-dienste-hubzilla
https://gnulinux.ch/fediverse-serie-funkwhale-audiostreaming-mit-walen-im-fediverse
https://gnulinux.ch/fediverse-serie-castopod-podcast-hosting-mit-fediverse-anschluss
https://hessen.social/@eichkat3r
https://gnulinux.ch/fediverse-serie-pleroma-akkoma-einfache-kommunikation-im-fediverse
https://chaos.social/@hoernchen72
https://gnulinux.ch/wzs-ueckueck-und-das-fediverse

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